Frühere Projekte

Und dann fuhren wir wirklich nach Italien

"Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen" (J. W. Goethe)

Im Wonnemonat Mai 2022 kamen wir per Nachtzug oder Flugzeug, einige schon mit einem Spaziergang durch Venedig, in Vincenza an. Alessandra Novello, Projektleiterin auf Seiten der Partnerorganisation Eurocultura, begrüßte uns herzlich. Zu unserer Freude versprach sie uns, wie die Petersilie auf der Kartoffel für uns zu sein – also fast stets und ständig dabei zu sein, wenn wir unsere Köpfe, Bäuche und Seelen füllen. Bei ihrer Vorstellung aller Workshops, Vorträge und Stadtführungen an den folgenden 6 Tagen wurde uns schnell bewusst, dass es nicht an geistigem, seelischem, genussreichem Input mangeln würde – la dolce vita für eine Woche für 27 Kitaleitungen, Stellvertretungen und 3 Vertreterinnen der Geschäftsstelle.

All das dank der Förderung von Erasmus+. Fachberatung und stellvertretende Vorständin hatten sich im Herbst 2019 hinter die Beantragung geklemmt und es gab zu aller Freude im Mai 2020 eine Zusage für die Förderung der Bildungsreise. Wie überall auf der Welt legte Corona das Projekt erst einmal auf Eis. Immer mal gab es hoffnungsvolle E-Mails zwischen Berlin und Vincenza und so gaben alle die Hoffnung nicht auf, wirklich nach Italien zu reisen.

Unter der Überschrift "Führung und Anleitung von pädagogischen Fachkräften – Kennenlernen italienischer Curricula und Konzepte frühkindlicher Pädagogik für die Qualifizierung von Leitungskräften und Praxisanleitungen" galt es, sich zuerst mit dem italienischen frühkindlichen Bildungssystem vertraut zu machen. Auch in Italien ist es mittlerweile schwierig, Menschen für die pädagogische Arbeit zu finden und zu begeistern. Auch gab es ein Erstaunen zu den Gehältern der Vorschullehrer*innen. Trotz akademischer Qualifizierung fällt es geringer als in Deutschland aus. Ebenso verwunderte uns der geringe Anteil männlicher Beschäftigter. Stück für Stück vergrößerten sich die Einblicke in das frühkindliche Bildungssystem Italiens. Mit einer Vielzahl von Expert*innen, die an ganz unterschiedlichen Stellen im italienischen Bildungssystem tätig sind, begegneten wir den Themen geschlechtersensible Bildung und Erziehung, Montessori in der frühen Bildung, Wege der Qualifizierung von Frühpädagog*innen, Medienkompetenz und Digitalisierung.

Insbesondere zwei Workshops beschäftigten uns nachhaltig. Ein an Schulen tätiger Psychologe stellte uns den Ansatz des solidarischen Netzwerkes vor. Vor allem durch die Pandemieerfahrungen der letzten zwei Jahre bewegten uns Fragen zur guten und gelingenden Zusammenarbeit mit Familien und Eltern. Dass ein spielerisches freies Miteinander anders ermöglicht, tiefsinnig zu Werten in der Erziehung und Wünschen für die Zukunft der eigenen Kinder ins Gespräch zu kommen, ging uns nah und nach.

Lernen braucht unbedingt Bewegung. Das war uns auf den ersten Blick nicht neu. Dann lernten wir die Scuola dell’infanzia und ihre Leiterin Federica Franceschetto kennen. Das Besondere an dieser Scuola dell’infanzia ist das gelebte Konzept der Psychomotorik. Psychomotorik unterstützt die Entwicklung von Kindern durch die Verbindung von seelischen mit körperlichen Prozessen. Federica erzählte nicht nur über Psychomotorik, sondern lud uns ein, selbst zu staunen, auszuprobieren, uns auseinanderzusetzen, zu spielen, zu bauen, zu klettern … Der zentrale Gedanke der Frühpädagogik, dass das Spielen die eigentliche Arbeit der Kinder ist, verinnerlichte sich dank Federica neu.

Um auch sprachlich in das Land einzutauchen, waren alle Workshops und Vorträge simultan übersetzt. Wir haben schnell gemerkt, dass italienisch so viel ausgeschmückter und poetischer ist als die deutsche Sprache. Manchmal entstanden neue Wortkreationen, die die inhaltsreichen Vorträge und Workshops verfeinerten und lebendig machten.

Vicenza ist eine Industriestadt im nördlichen Italien. Sie liegt in der Region Venetien, nah an den Städten Venedig, Padua, Verona. Durch sehr interessante Stadtführungen bekamen wir kulturell-geschichtliche Einblicke. Vicenza selbst ist ja für die Bauwerke des Renaissancearchitekten Andrea Palladio berühmt, die ihr sogar den Rang eines UNESCO-Welterbes eintrugen. Im Mittelpunkt der venezianischen Stadtführung standen die Geschichte des ältesten jüdischen Ghettos und der Umgang mit Kindheit in zurückliegenden Jahrzehnten.

Und weil die Italiener*innen vielleicht viel besser als die Deutschen wissen, dass jedes Fachwissen sich viel besser mit guter Nahrung für den Bauch verdauen lässt, kamen wir dank Alessandra und Eurocultura oft auch kulinarisch zusammen.

Viele gute Ideen im Kopf, Einladungen nach Berlin für die Expert*innen und Allesandra sowie Lust auf mehr solcher Bildungsreisen waren nach der Woche mindestens im Gepäck.

Es fiel uns schwer, uns zu verabschieden, und es fiel uns leicht, uns zu bedanken bei Eurocultura, den Übersetzerinnen, den Fachmenschen der frühkindlichen italienischen Bildung und Erasmus+.

Solch ein Blick über den Tellerrand schenkt viel Energie, Motivation und Inspiration und verbindet miteinander.

Yvonne Quittkat-Antczak